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Alt 05.05.2020, 05:56
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Michi Müller Michi Müller ist offline
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Zitat von Heinsberger LandEi Beitrag anzeigen
Führen war mehr oder minder einer der typischen Vertreter seiner Generation. Was aus heutiger Sicht skandalös ist, erschien aus damaliger Sicht in weiten Teilen der Bevölkerung nicht anstößig. Die Verklärung der Vergangenheit war ein weit verbreitetes Mittel zum Umgang mit selbiger.


Es wäre den Amerikanern gar nicht möglich gewesen, soviel Gefängnisse zu bauen, wie man für die Inhaftierung all jener gebraucht hätte, die sich zu Zeiten des Naziregimes in irgendeiner Form schuldig gemacht haben. Die meisten Täter, sofern gegen sie denn überhaupt ermittelt wurde, galten als entnazifiziert. Unendlich viele Familien hatten zumindest einen Verwandten, über dessen Wirken zu Zeiten des dritten Reiches nicht mehr gesprochen wurde, statt dessen tat man so, als seinen all die Verbrechen nur durch eine kleine Zahl von Spitzenfunktionären begangen worden.



Das war ja auch der berechtigte Anlass für die 68er, hiergegen auf die Straße zu gehen. Wenn wir aber jetzt sagen, wir senken über Führen den Daumen, dann muss dies eigentlich auch für viele andere seiner Zeitgenossen gelten, von denen man mit akribischer Recherche vermutlich ähnliche Aussagen finden wird.


In seiner Wahrnehmung war der Name Bundeswehr womöglich nur ein anderer Name für die ihm bekannte Wehrmacht, die für ihn aufgrund seiner Sozialisierung nicht als Armee der Verbrechen und des Angriffskrieges, sondern als Heimatverteidigungseinheit, für die seine Kameraden und Vorfahren kämpften, in Erinnerung geblieben ist.


Dass so etwas nix anderes als Selbstbetrug ist, ist heute klar, aber mit dieser Haltung stand er mitten im pädagogisch noch von den Nazis geprägten konservativen Zeitgeist der Nachkriegsjahre und -jahrzehnte.


Vermutlich kann man mehr als 50 % der Preis- und Würdenträger seiner Generation posthum alle Ehrungen entziehen, wenn man ähnliche Kriterien an diese anlegt.
Aktuell befinden wir uns aber ziemlich häufig auf einem Nenner

In der heutigen Zeit und mit meinem heutigem Wissen sage ich auch "das hätte es mit mir nie gegeben". Aber ist das auch so? Ich denke 98% von uns hier können sich doch gar nicht wirklich in die damalige Lage reinversetzen. Wir sind heute doch auf Grund von Internet und hunderten TV-Sendern im Prinzip über alles bestens informiert. Das war ja in diesen Zeiten gar nicht so. Internet gab es noch nicht und die Fernsehsender waren kontrolliert. Jeder glaubte doch blind was dort gezeigt wurde und hinterfragte gar nicht alles so wie heute. Damals war es leider "normal" so zu denken und für das "Vaterland" zu "arbeiten" bzw. notfalls sogar dafür zu sterben.

Das können wir doch alles gar nicht nachvollziehen, was aber u.a. auch daran liegt das WIR das "Ergebnis" kennen!

Ich war ja z.B. schon in Auschwitz. Wenn ich sehe das das KZ dort mitten in der Stadt liegt, dann kaufe ich einfach keinem ab nicht davon gewusst zu haben was da wirklich passierte. So dumm kann doch keiner sein.

Das mag vielleicht nach heutigem Wissensstand unvorstellbar klingen, aber seinerzeit war es in gewisser Weise "normal".

Ich habe vor einigen Wochen den Film "Operation Finale" nach wahrer Begebenheit über die Entführung von Adolf Eichmann gesehen. Diesen kann ich jedem übrigens nur wärmstens empfehlen! Der israelische Geheimdienst wollte Eichmann in Argentinien entführen und nach Israel bringen um ihn dort vor Gericht zu stellen. Da der argentinische Staat Wind davon bekam, wurden alle Flüge gecancelt und der Geheimdienst musste Eichmann einige Tage "gefangen" halten. Dabei entstanden logischerweise Gespräche zwischen seinen jüdischen "Kidnappern" und ihm, in denen er immer wieder betonte das er unschuldig sei, weil er selber ja nicht die Befehle erteilte sondern nur ausführte. Selbst der israelische Geheimdienst fing irgendwann an darüber nachzudenken und konnte seine Aussagen sogar in gewisser Weise nachvollziehen.

Natürlich macht es das "Ergebnis" nicht besser, darauf will ich auch gar nicht hinaus. Sondern viel mehr darauf das es halt für viele ein Beruf war, so wie wir heute ins Büro oder in die Fabrik gehen.

Deswegen finde ich auch das man die Personen der damaligen Zeit, heute nicht dafür verurteilen sollte. Zumindest dann nicht, wenn sie diesbezüglich keine kritischen oder hetzerischen Äusserungen tätigen. Und diese waren mir bei Leo nicht bekannt!

Etwas anderes wäre es, wenn er sich HEUTE noch so äussern würde.

Wegen so einem blöden Shirt jetzt komplett alles in Frage zu stellen und ggf. eine Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft in Erwägung zu ziehen ginge doch ein wenig zu weit!

Geändert von Michi Müller (05.05.2020 um 06:11 Uhr)
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Heinsberger LandEi (05.05.2020)